UTMB-Gründerin Catherine Poletti spricht vom Gestern und Heute, über die Entwicklung eines Events und einer gesamten Sportart. Nicht immer läuft alles wie geplant, denn „wir sind alle nur Menschen“.
Sie ist eine freundliche und höfliche Frau, die ihre Worte mit Bedacht wählt und die weiß, wie sie ihre Botschaft am besten transportieren kann – immerhin ist sie schon seit Jahrzehnten im Geschäft. Catherine Poletti ist die Grand Dame des Ultra Trail du Mont Blanc, jenes Rennens, das sie gemeinsam mit ihrem Mann Michel vor über 20 Jahren aus der Taufe gehoben hat und das seitdem eine beachtenswerte Entwicklung mit sich gebracht hat – eine Entwicklung, die nicht nur den UTMB allein, sondern die gesamte Trailrunning-Szene betrifft.
Machen Poletti und ihre Familie und ihre aktuell 70 Angestellten also das gute und schlechte Wetter auf den Trails und Ultratrails? Vielleicht ist sie für die einen jene, die das Laufen in der Natur über-kommerzialisiert, vielleicht ist sie für die anderen eine, die eben eine gute Geschäftsfrau ist – so what?
Rückblende.
Der UTMB 2003 bringt 67 Sportler und Sportlerinnen ins Ziel, die ersten Wettkampfrunden rund um den Mont Blanc sind erledigt. „Es war ein großes Abenteuer, nichts anderes“, sagt Poletti heute. „Michel war und ist Ultratrail-Läufer, ich war immer an seiner Seite und war ebenfalls gefangen von der Schönheit der Natur. Und dann: Chamonix, Geburtsort meines Mannes, und die Berge dort – wie majestätisch und wertvoll!“ Die Polettis sind ein Leben lang Unternehmer, waren auch im IT-Business tätig, tragen verschiedene Hüte und denken sich, dass sich aus diesem UTMB vielleicht was machen ließe. „Aber wir wussten nicht, was daraus entstehen könnte.“
Die erste Sportuhr von Garmin kommt im Jahr 2003 auf den Markt, Salomons „Speedcross 1“-Trailschuh drei Jahre später. Trailrunning – das es unter anderem Namen selbstverständlich vorher auch schon gegeben hat – begann just in den 2000ern, Fahrt aufzunehmen. Und der UTMB ist vorne mit dabei. „Nonstop durch drei Länder zu laufen und dadurch einen ikonischen Berg zu umrunden, hatte damals wie heute seinen Reiz“, sagt Catherine Poletti. „Wir sind einfach dem Zeitgeist gefolgt und haben uns trotz aller Herausforderungen weiterentwickelt. Trailrunning ist in Frankreich gleich mal viel wichtiger geworden als anderswo.“ Befriedigung und Stolz schwingt mit, wenn sie davon spricht, schon immer nachhaltig gearbeitet zu haben (indem beispielsweise die Wanderroute um den Mont Blanc belaufen, mit den alpinen Hütten zusammengearbeitet und auf die Hirten und deren Herden Rücksicht genommen wurde), oder wenn sie davon spricht, dass der UTMB in vielerlei Hinsicht treibende Kraft in der Entwicklung des Sports war. Stichwort Schuhe, Stichwort Laufwesten, Stichwort GPS-Sportuhren, Stichwort Arbeitsplätze für Trainer, Physiotherapeuten, Ernährungsberater. „Und dies umso mehr ab 2013, als wir zusammen mit anderen Stakeholdern in Courmayeur die International Trail Running Association (ITRA) ins Leben riefen. Die Idee war, den Sport zu definieren und ihn professioneller zu gestalten – mit Vorschlägen hinsichtlich Material und Reglement beispielsweise. Insgesamt setzten wir fünf Arbeitsgruppen ein. Ab diesem Zeitpunkt hat sich Trailrunning zu einem tatsächlichen Hochleistungssport entwickelt.“ Das kann selbstverständlich auch Ansichtssache sein – Trail-Weltmeisterschaften der International Association of Ultrarunners (IAU) gibt es seit 2007.
Sechs Jahre lang war Michel Poletti Vorsitzender der ITRA, doch wenn sich die Zeiten ändern, ändern sich auch die Prioritäten und Positionen. Heute ist der Trailrunning-Weltverband anders besetzt und steht mit den neu gegründeten World Trail Majors in gewisser Weise in Opposition zur UTMB Group. Zwischen 2014 und 2020 erhielt Poletti Anfragen aus der ganzen Welt, doch Rennen nach UTMB-Standards in China, auf Feuerland, im Oman zu unterstützen, „was wir, immer zusammen mit den lokalen Organisatoren, in Franchise-Form auch taten.“
Heute gibt es rund 20.000 Trail-Events auf der ganzen Welt, Jahr für Jahr. Catherine Poletti rechnet vor. „41 davon stehen mit uns im Zusammenhang, sie wurden von uns ins Leben gerufen, oder gekauft, oder es besteht ein Franchise-Vertrag. Es werden noch mehr werden, maximal 70 bis 80. Ja, ich würde sagen, dass 80 das obere Limit darstellen.” Von Monopolstellung also keine Spur, “wichtig ist doch, dass alle Trailrunner die Möglichkeit haben, ihrem Sport in jenem Umfeld nachgehen zu können, in dem sie es wollen. Es wird jene geben, die einfach nur laufen wollen und gar keine Wettbewerbe benötigen. Es wird jene geben, die grassroots events suchen. Und es wird jene geben, die bei den großen Shows mit dabei sein wollen. Wer Trailrunning liebt, wird seine Veranstaltungen finden, es gibt genügend Zeit und Raum für jeden Organisator. Wir vom UTMB bieten eine Schiene an, doch es wird niemand gezwungen, bei unseren Events dabei zu sein.“
„Lasst uns alle klar und respektvoll in unserem Umgang bleiben und wissen, dass wir alle Menschen sind.“
In den letzten Monaten steht der UTMB von verschiedenen Seiten unter Beschuss. Der Deal mit einem Autohersteller als neuen Namenssponsor wurde als unethisch für eine Veranstaltung in der Natur dargestellt, den Machern wurde das Hinausdrängen von Mitbewerbern vorgehalten, und zuletzt stellten sich zwei der besten Trailläufer der Welt wenn nicht gegen, so sicher nicht auf die Seite des UTMB. Poletti kann, nein: muss, damit leben. „Angriffe im Geschäftsleben hat es immer gegeben und wird es immer geben“, sagt sie. „Aber sehr oft reden die Menschen, ohne das Gesamtbild zu sehen. Dacia war bereits einer unserer Sponsoren, doch wir benötigten sie in einer wichtigeren Rolle, um unsere Transport-Vorstellungen, mehr Busse, weniger Autos, umsetzen zu können. Und sicher hätten wir in Kanada mit einem Event-Organisator früher sprechen müssen und ihm sagen: Schau, wir werden hier ein ,by UTMB‘ organisieren. Ja: Das Timing unserer Kommunikation war alles andere als ideal. Aber wir alle sind Menschen und machen Fehler.“
Poletti weiter: „Doch wichtig ist mir festzuhalten, dass sich unsere Einstellung und unser Geist von 2003 – im Gegensatz zu der Zeit, in der wir heute leben – nicht verändert hat. Wir hören anderen zu und verschließen uns nicht vor neuen, guten Ideen. Klar, zuweilen sagen wir: ,Ja. Aber nein‘.“ Vor 20 Jahren hatte der UTMB zwei Mitarbeiter, heute sind es 70. Damals gab es einen Verein und eine GmbH, heute gehören vier Tochtergesellschaften zur Gruppe (und andere Unternehmen in deren Einflussbereich). Damals war der Umsatz überschaubar, 2022 wird er bei rund 14 Millionen Euro gelegen sein. „Wir haben uns angepasst und sind gewachsen.“
„Lasst uns kritisieren – aber auf der Basis von gesicherten Informationen und nicht auf Basis von Fake News.“
Zu diesem Wachstum hat auch die Ironman-Gruppe beigetragen, die seit 2021 Juniorpartner ist. Bereits 2017 wollte Ironman, aber auch andere Organisationen wie Virgin und Spartan den UTMB übernehmen, doch die Familie Poletti hatte kein Interesse an diesem Deal. Zu diesem Zeitpunkt war man zudem in einer Partnerschaft mit dem französischen Medienhaus Groupe Telegramme. Deren 40% Anteile wurden von Ironman gekauft, weitere 5 % verkaufte UTMB durch eine Kapitalerhöhung an das US-amerikanische Unternehmen. Das Geld wurde in das Wachstum eines Unternehmens investiert, das nach den Corona-Jahren auf wackeligen Beinen stand, sich aber dennoch nicht von auch nur einem einzigen Mitarbeiter trennte. „Wir als UTMB, als Familie Poletti, sind weiterhin verantwortlich für den Trail-Spirit. Ironman steht uns mit seinen globalen Möglichkeiten zur Seite. Ich denke, dass wir eine gute Balance gefunden haben – oder finden werden.“
Für die rund 10.000 Startplätze bei den Rennen 2024 gingen dreimal so viele Anfragen ein. 250 so genannte „Charity Bibs“, die für 2200 Euro/Stück erstanden werden konnten, waren in weniger als 24 Stunden verkauft – der Erlös geht direkt an 14 gemeinnützige Organisationen. Der UTMB unterstützt mit seinen Programmen Menschen in unterentwickelten Gebieten oder mit Behinderungen, setzt sich für Gleichbehandlung der Geschlechter ein (mit einer eigenen Schwangerschafts-Regelung), und bemüht sich um Nachhaltigkeit mit einer eigenen Plattform: For the Planet. Aber wie nachhaltig ist es, einen “Mauritius by UTMB” zu organisieren? „Dies war der Wunsch der dortigen Regierung und der dortigen Institutionen, um dem Tourismus einen zusätzlichen Impuls zu verleihen“, sagt Poletti. „Dieses Rennen ist nicht auf unsere Initiative zurückzuführen – aber selbstverständlich sind wir froh, es in unserem Programm zu haben.“
„Lasst uns verstehen, dass der Sport wichtig ist, und nicht alle Nebengeräusche.“
Es wird aus geschäftlicher Sicht wohl kein Fehler sein, ein Ausrufezeichen des UTMB auch im Indischen Ozean zu setzen. Und es ist eine Aktion, die Poletti unter Entwicklungshilfe für den Sport ablegen kann. „Trailrunning ist immer noch nicht ausgereift und immer noch in der Entwicklungsphase. Ich persönlich mag es, immer noch dabei zu sein und mit dem UTMB und dessen Strahlkraft einen Beitrag für das weitere Wachstum und aller damit verbundenen Märkte leisten zu können. Trailrunning schafft global gesehen sehr viele Arbeitsplätze, das freut mich, auch wenn es nicht mein Business ist. Ich freue mich einfach zu sehen, wie der UTMB Inspiration für eine ganze Sportart ist. Für eine Sportart, die so schön und edel ist wie das Trailrunning.“