Es ist vorstellbar, dass Hannes Namberger (ITRA Performance Index 918) oder Rosanna Buchauer (778), dass Florian Grasel (841) oder Claudia Rosegger (743) zuweilen frustriert verfolgen, wie in den Medien über Trail- und Ultratrail-Running berichtet wird.
Meistens nämlich überhaupt nicht. Und wenn doch, dann haben meistens Breitensportler das Wort, die eben auch den Grossglockner Ultra-Trail, oder den Lavaredo Ultra-Trail, oder andere epische Rennen bestritten haben. Nur: Sie haben diese Wettbewerbe nicht gewonnen, holen, bekommen oder nehmen sich dennoch ihren Platz auf Blogs, Websites oder auf den Seiten von Lokalzeitungen. Die Erstplatzierten werden (wenn überhaupt) erwähnt, das war es dann auch schon. Selbst in der Trailrunning-Bubble selbst können sprachenübergreifend jene Internetauftritte, die die Elite exklusiv in den Vordergrund rückt, wohl an den Fingern einer Hand abgezählt werden.
Die Fragen, ob Elitesport Trailrunning ein Mythos sei, ob es ihn denn überhaupt gäbe, sind selbstverständlich polemisch und rhetorisch. Das, was Namberger, Buchauer, Rosegger und Grasel machen, nennt sich zwar gleich wie das, was Millionen Hobbyläufer:innen und Breitensportler:innen machen, ist es aber nicht.
Millionen spielen Tennis – kaum jemand aber so wie Jannik Sinner.
Millionen fahren Auto – in der Formel 1 sind es gerade mal 20 Piloten.
Millionen spielen Fußball – den Vergleich mit Messi, Ronaldo, Mbappè brauchen wir erst gar nicht bemühen.
Trailrunning ist ein Breitensport (wie fast alle Sportarten), das ist schön und gut so. Warum aber wird die Elite so wenig wahrgenommen und wird ihr so wenig öffentlichkeitswirksame Aufmerksamkeit eingeräumt? Warum kann außerhalb der Trail-Blase kaum jemand etwas anfangen mit Namen wie Courtney Dauwalter, Jim Walmsley, Kilian Jornet, Katie Schide?
Die Ursachen sind mannigfach, und zur aktuellen Situation haben, um es einfach zu machen, alle beigetragen.
- DIE SPORTLER SELBST. Trailrunning entstand als Massenbewegung, die Natur, das Erlebnis, die Freiheit, das Ausloten der eigenen Möglichkeiten standen im Vordergrund und nicht der Wettkampf. Der Leistungsgedanke wurde ad absurdum geführt, als es ex-aequo-Sieger überall gab, beim Grossglockner Ultra-Trail drei Mal in den ersten drei Jahren, mehrfach beim Hochkönigman, beim Wörtherseetrail. Schon klar. Wenn 40, 50 Kilometer gemeinsam gelaufen wird, ist es eine schöne Geste, gemeinsam zu finishen. Hochleistungssport sieht anders aus, da kommt es auf den letzten Metern noch zum Sprint um Platz eins.
- DIE EVENT-ORGANISATOREN. Bei Städtemarathons, von New York bis Tokio, Chicago bis London, Valencia bis Berlin warten die Veranstalter Jahr für Jahr mit einem Elite-Feld auf, das die Aufmerksamkeit der globalen Sportwelt auf sich zieht. Abgesehen von der Tatsache, dass Eliud Kipchoge um einiges bekannter ist als Kilian Jornet, bleibt zu konstatieren, dass sich die Ausrichter von Trail-Events nicht um die Elite bemühen: weil sie Aufwand mit sich bringen, Kosten verursachen und ihre Präsenz letztlich, sagen wir: irrelevant für den kommerziellen Erfolg der Veranstaltung ist. Der Chianti Ultra Trail war ausgebucht, noch ehe so richtig bekannt wurde, dass die Topstars der Szene dort sein würden. Das Innsbruck Alpine Trail Festival feiert 7000 Anmeldungen im Jahr 2025, da ist es einerlei, ob der Event auch als Sichtungsrennen für potenzielle deutsche WM-Starter:innen gilt oder nicht.
- DIE NATIONALEN UND INTERNATIONALEN VERBÄNDE. Sie haben sich in der Anfangsphase des Trailrunnings, wie wir es heute kennen, nicht um diesen Sport gekümmert, so, wie sich der Internationale Skiverband auch erst dann für Snowboard interessierte, als diese Sportart 1998 olympisch wurde. Ohne deutschen oder österreichischen Leichtathletikverband, ohne World Athletics entwickelte sich Trailrunning quasi vogelfrei. Die bereits existente World Mountain Running Association (WMRA) machte ihr eigenes Ding, bis vor wenigen Jahren waren Berg- und Traillauf nicht konträr, aber auch nicht mehr als parallel zueinander unterwegs.
Seit Einführung der World Mountain and Trail Running Championships kommt Bewegung in die Sache. Herausforderungen gibt es zuhauf. Die meisten Spitzensportler:innen sind nicht in Vereins- und Verbandsstrukturen groß geworden, haben ihre eigene Agenda und eigenen Wettkampfplan und stehen nicht auf Abruf bereit, um eine WM bestreiten zu dürfen. Während European Athletics die kontinentalen Meisterschaften ausrichtet (die EAORRC, European Athletics Off-road Running Championships) und sich Expertise von Fachverbänden holt, hält sich World Athletics (noch?) zurück und fungiert lediglich als Dachorganisation für die Weltmeisterschaften, die von WMRA, International Trail Running Association (ITRA) und International Association of Ultrarunners (IAU) ausgerichtet werden. - DIE INDUSTRIE. Uh, schwieriges Kapitel. Die sozialen Medien und Trailrunning sind quasi Hand in Hand in den letzten zwei Dekaden groß und wichtig geworden, mit Facebook, Instagram und Co. kamen Influencer:innen, die schönere Bilder und größere Emotionen erzeugten als Sportler und Sportlerinnen, mehr Reichweite generierten und denen deswegen von den Brands der Vorzug gegeben wurde. Sport-Sponsoring verlagerte sich zu großen Teilen ins Influencer-Marketing. Wenn der Sponsor fehlt, wird aus einer sehr engagierten Leistungssportlerin oder einem Halbprofi dann doch kein Profi.
- DIE MEDIEN. Wenn Trailrunning in seiner perfekten Exekution nicht wahrgenommen wird, dann sind die drei oben genannten Punkte die Ursache, und das Desinteresse der Medien die Auswirkung.
Dabei wäre es so einfach, Spitzen- von Breitensport zu erkennen. Hannes Namberger läuft die 120 Kilometer und knapp 6000 Höhenmeter beim Lavaredo Ultra Trail in unter 12 Stunden. Die Letzten benötigen 30 Stunden. Wer den Ultra-Trail du Mont Blanc gewinnen will, darf nicht länger als 20 Stunden unterwegs sein. Um zu finishen reicht es, in 46:30 Stunden im Ziel anzukommen.
www.trailrunningworld.net will die Elite in den Vordergrund rücken und von jenen hören, was Trailrunning in all seinen Facetten ausmacht: Wollen wir denn nicht alle von den Besten lernen?!