„Ultramarathons lehren, geduldig zu sein“

Im Gespräch mit Dean Karnazes, einer Legende des Ultra-Sports

Dean Karnazes war vom Time Magazine zu einem der „100 Most Influential People in the World“ gewählt und vom Men’s Health als einer der fittesten Menschen der Welt angepriesen worden und hat Rennen rund um den Globus bestritten. Der Bestseller-Autor und Key-Note-Speaker hat unter anderem 50 Marathons in den 50 US-Bundesstaaten an 50 aufeinanderfolgenden Tagen bestritten, und beendete diese Leistung mit dem New York City Marathon, den er in drei Stunden absolvierte. Dean wurde mit dem Preis für die ESPN Excellence in Sports Performance of the Year ausgezeichnet, ist dreifacher Gewinner des Endurance Athlete of the Year Awards des Competitor Magazins und wirkt als US-Sportbotschafter. Er war zweimal Teilnehmer an einem Olympischen Fackellauf und erhielt 2019 den President’s Council on Sports Fitness and Nutrition Lifetime Achievement Award.

Dean Karnazes, um jeden Läufer bzw. jede Läuferin rankt sich eine Geschichte, warum er oder sie mit dem Laufen begonnen hat. Bei dir heißt es, dass du während deiner Geburtstagsparty dich auf die Suche nach etwas Neuem begeben hast und sieben Stunden lang laufen gegangen bist. Stimmt das? Und warum hast du mit dem Laufen begonnen?

Ja, und schuld daran war schlechter Tequila! Als Kind lief ich unheimlich gerne, doch ich hörte damit auf, als ich ins Teenageralter kam. Dann, in jener schicksalshaften Nacht an meinem 30. Geburtstag, befand ich mich mit Freunden zusammen in einem Nachtclub, wo wir sehr feuchtfröhlich meinen Geburtstag feierten. Da packte mich auf einmal so ein grundtiefer Wunsch, einfach zu gehen. Die anderen fragten mich nur „Was? Es ist doch erst Mitternacht. Komm, trinken wir noch eine Runde Tequila!” Doch anstelle zum Nächsten zu greifen verließ ich den Club und lief zur Feier des Tages fast 50 Kilometer weit. Ich lief die ganze Nacht hindurch. Es war damals das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich wieder einmal gelaufen war. Ich war betrunken und ich dachte ich müsse sterben, doch ich lief und lief. Diese Nacht veränderte mein Leben für immer.

Heute gehörst du zu den bekanntesten Ultraläufern und Influencern der Ultraszene. 2005 hast du den Bestseller „Ultramarathon Man“ geschrieben, ein Buch, das einen bleibenden Eindruck in der Szene hinterließ. Du hast jedoch auch den Ruf, etwas distanziert zu sein, ja beinahe schüchtern. Darum die Frage: Wie gehst du mit deiner Popularität um?

Diese Frage wird mir regelmäßig gestellt – wie es denn so ist, berühmt zu sein. Ich erwidere immer gleich, dass ich das nicht wüsste und dass man jemanden fragen müsste, der wirklich bekannt ist. Wenn mich Leute am Flughafen ansprechen und ein Autogramm oder Foto von mir haben wollen, dann bin ich immer wieder etwas verwundert. Ich laufe doch nur, genauso wie viele andere auch. Ich bin im Herzen nur ein Läufer, nichts anderes. 

Du läufst bzw. bist am Rande der menschlichen Vorstellungskraft gelaufen, in der Atacamawüste und der Antarktis, du hast zwölfmal am Western State teilgenommen und bist zehnmal den Badwater Ultra gelaufen – bis heute. Was war das brutalste Rennen, bei dem du deine schönsten Erfahrungen gemacht hast? Und warum tust du dir das immer wieder an – zehnmal den Badwater, ganz ehrlich!?

Wie man sehen kann, lebe ich fürs Abenteuer. Für mich steht die Reise, auf die ich mich dabei begebe, im Vordergrund, die Suche nach neuen Herausforderungen und das Entdecken neuer Dinge. Es mag sich vielleicht etwas überraschend anhören, doch mein bestes und schönstes Lauferlebnis hatte ich nicht irgendwo in der Abgeschiedenheit in der Wildnis, sondern bei einem 10-km-Rennen, das ich zusammen mit meiner Tochter Alexandria gelaufen bin, an ihrem zehnten Geburtstag. Das lässt sich durch nichts übertreffen.

Um es mit den Worten von Haruki Murakami zu sagen: Worüber sprichst du, wenn du über das Laufen sprichst? Erzählst du darüber in deinem neuen Buch „A Runner’s High“?

Antwort: Mein neuestes Buch, A Runner’s High, ähnelt meinem ersten Buch, Ultramarathon Man. Es ist eine inspirierende Reise, voll mit lebendigen Geschichten, Lektionen und Einblicken aus einem bewegten Leben. Das Spektrum reicht von lustigen Begebenheiten, wie etwa als ich durch das Weiße Haus lief, bis hin zu herzerwärmenden Geschichten, als mir meine doch schon betagten Eltern als Helfer beim Western States 100-Mile Endurance Run beiseite standen. Doch vor allem geht es im Buch um die Motivation und Einstellung, die man als Läufer hat.

„Wenn du laufen willst, laufe eine Meile. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, laufe einen Marathon. Wenn du eine Unterhaltung mit Gott führen willst, dann laufe einen Ultra.“ (aus A Runner’s High)

Die Ultralaufszene hat sich über die letzten 20 Jahre ziemlich verändert. Sie ist inzwischen stark gewachsen und in bestimmten Bereichen auch sichtlich professioneller geworden. Aus deiner persönlichen Perspektive: Was ist besser geworden, was schlechter? Schlagwort: Sponsoren, zu viele Teilnehmer, Social Media, vielleicht auch Doping.

Wie bei jedem Sport, der wächst, so war auch der Ultralauf nicht vor Kinderkrankheiten gefeit. Der Sport ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert und alle diese weniger guten Dinge, die in der Frage angesprochen werden, spielen dabei eine Rolle. Doch im Großen und Ganzen denke ich, dass unser Sport sich seine Seele bewahrt hat. Ja, natürlich hat sich der Sport verändert, doch die Magie ist vorhanden geblieben. 

Wie siehst du die Jagd nach Topleistungen, zum Beispiel den 24-Stunden-Rekord? Oder anders ausgedrückt: Yiannis Kouros oder Kilian Jornet? Wie denkst du über Jim Walmsleys 100km-Lauf? Verträgt sich diese Jagd nach neuen Rekorden mit deiner Vision des Ultralaufs?

Kilian hat eine wunderbare Empfehlung für mein Buch geschrieben und auch wenn er um einiges jünger ist als ich, so ist er einer meiner Helden. Das gleiche kann ich auch von Yiannis Kouros behaupten (ich habe ja auch griechische Wurzeln) und Jim Walmsley. Sie alle sind herausragende Athleten und ich habe vor jedem Einzelnen von ihnen größten Respekt. Kilian und Jim haben dem Sport letzthin neue Energie eingeimpft, was ich als recht positiv empfinde. Es fügt dem Ultralauf eine neue Dimension hinzu. 

An dieser Stelle möchte ich aber auch noch einige andere meiner Heldinnen nennen: Camille Herron, Courtney Dauwalter, Lucy Bartholomew und Ann Trason. Die Frauen in unserem Sport sind phänomenal und verdienen zumindest genauso viel Anerkennung für ihre Leistungen.

Was sind deine Erinnerungen an die 24-Stunden-Weltmeisterschaft 2005 im österreichischen Wörschach?

Die 24-Stunden-WM in Österreich war ein Highlight meiner Karriere. Zwar war meine Leistung nicht so wie ich es geplant hatte und dazu kamen auch noch Magenprobleme, doch das Gesamterlebnis war fantastisch. Ich war damals mit meiner Familie dort und wir bereisten und erkundeten ganz Österreich. Meine Kinder sprechen noch heute von dieser Reise und wie gut es ihnen gefallen hat.

Wie du bereits erwähnt hast, so hast du griechische Wurzeln. Was ist also die (tiefere) Bedeutung für deine Teilnahme am Spartathlon 2014?

Nun, die Basis für meine Teilnahme am Spartathlon wurde mit der Recherche für mein Buch The Road to Sparta gelegt. Darin wollte ich die Geschichte des ersten Ultramarathonläufers, Phiddiopides, erzählen und so begab ich mich auf eine Laufmission, ließ mich auf ein ungeheuer tiefgehendes Projekt ein. Der Lauf war eine wirkliche Herausforderung, doch damit wurde auch das Buch viel plastischer. Über Qualen, Härten und Durchhaltevermögen zu schreiben, macht das Buch viel fesselnder, da sich jeder Läufer und jede Läuferin damit identifizieren kann, ungeachtet des Alters oder Könnens.   

Wenn du unseren Lesern und Leserinnen Ratschläge für Ultramarathons geben müsstest, was wären deine drei wichtigsten Empfehlungen?

Zuallererst: Genieße es! Nimm es ernst, aber nicht zu ernst! Zweitens: Laufe mit deinem Herzen, nicht mit deinen Beinen. Leidenschaft kann dich in diesem Sport sehr weit bringen. Und last but not least: Höre auf andere, folge aber niemanden. Anders gesagt, nimm Ratschläge von anderen an und probiere sie aus, um herauszufinden, was am besten für dich funktioniert.

Danke für das Gespräch!

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