Grasel beim Snowdonia: „Bei Schlechtwetter gibt es Tote“

Wenn von UTMB und Österreich gesprochen wird, dann sticht ein Resultat immer noch heraus: Platz neun von Florian Grasel 2018, beim „Rennen aller Rennen“ in der Mont Blanc-Region. UTMB hat sich gewandelt, ist zu einer globalen Serie geworden. Österreicher:innen spielen mit im Konzert der Besten, aber sehr viele haben es bis dato noch nicht auf das Podest geschafft. Esther Fellhofer ist ebenso zu erwähnen wie Claudia Rosegger und Gerald „Sancho“ Fister und – Florian Grasel. 2022 siegte er beim Eiger 250, 2024 war er beim PTL in Chamonix auf dem Podest, nun fügt er seinen beeindruckenden Erfolgen noch einen zweiten Platz bei einem 100 Meilen-Rennen in Nordwales hinzu. Snowdonia by UTMB gilt als eines jener großen, epischen Rennen, „die man einmal gemacht haben muss.“

Egon Theiner

Doch als Grasel (UTMB-Index 826) Richtung Großbritannien aufbrach, war das reine Teilnehmen nachrangig. „Klar, alleine schon die Startnummer 4 sagt schon aus, dass man um den Sieg mitlaufen muss“, sagt der Niederösterreicher, „und vielleicht war sogar eine Spur Arroganz dabei – immerhin habe ich schon 200, 300 Kilometer Rennen auf dem Podest beendet, was sind dann schon 100 Meilen und 10.000 Höhenmeter?!“

Eine „Micro Adventure“ hatte er sich vorgestellt, ein gutes Training auf den im September stattfindenden Tor de Géants (TOR) im Aostatal, doch im Start-Ziel-Ort Llanberis (knapp zwei Stunden westlich von Liverpool gelegen) musste er sich eingestehen: 100 Meilen sind und bleiben 100 Meilen. Die müssen erst gelaufen werden – egal, was du schon alles erreicht hast, sie werden deswegen nicht einfacher.

Nun ist es ja auch nicht so, dass Grasel die Gegebenheiten auf der Insel nicht gekannt hätte, schon vor zehn Jahren hatte er sich mit der Bob Graham-Runde beschäftigt, und vor dem „Snowdonia“ fleißig Videostudium betrieben. Das Fazit vor dem Laptop: traillastig, aber weil das Gebiet touristisch gut erschlossen ist, es sogar eine Bahn gibt, wohl recht gut laufbar. Das Fazit im Realitätscheck: von der Schwierigkeit her irgendwo zwischen dem Berliner Höhenweg im Zillertal und dem PTL, der Petite Trotte à Léon rund um den Mont Blanc. „Es gibt sehr viele Gebirgspassagen, die massiv steinig und unwegsam sind“, resümiert Grasel. „Gefälle und Steigungen können bis zu 30, 40 % ausmachen, gerade, dass man nicht schon klettern muss.“ Und er sagt: „Wenn es normales englisches Wetter gibt, so, wie wir es uns immer vorstellen, wenn es zwei Tage regnet, dann kannst du das nicht mehr bringen. Dann gibt es Tote.“

Das Wetter war gnädig mit Grasel, der auf seiner Suunto am Ende knapp 170 Kilometer (statt der offiziellen 164) und 10.700 Höhenmeter (statt 9.500) stehen hatte. Aber egal.

Nicht egal ist, wie er von Anfang an unter den Top Drei zu finden war, letztlich hinter dem Kanadier Ethan Peters (UTMB-Index 788) und vor dem Briten Tom Joly (857) Zweiter wurde. Nicht egal ist, dass er sich mental aus tiefen Löchern herauszog. „Nach dem Rennen meinte Joly, dass er zweimal vergeblich versucht hätte, aufzugeben. Bei mir war es einmal, so um Kilometer 110 herum“, sagt Grasel. „Ich bin schon sehr zufrieden, dass ich es mental durchgedrückt habe, durch diese Täler gegangen bin…“ (Hier geht es zur Ergebnisliste des Ultra Trail Snowdonia by UTMB.)

Diagnose: Morton-Neurom

… und dies umso mehr, weil Florian Grasel vor seiner Abreise noch beim Arzt war und diesem von einem tauben Gefühl zwischen der dritten und vierten Zehe des linken Fußes erzählte. Das Morton-Neurom ist eine schmerzhafte, fibröse Nervenverdickung des Vorfußes und macht früher oder später wohl eine Operation nötig. „Das magst du auch nicht unbedingt vor einem Hundertmeiler hören.“ Die Verletzung machte sich ab Kilometer 30 bemerkbar, Grasel trug sich mit den Gedanken, ob der Zeh nun schwarz oder gebrochen sei – Gedanken, die nicht für ein mentales Wohlbefinden sorgen.

Zwischen Peters und Grasel lagen am Ende knapp 1:45 Stunden, Grasel ist Sportsmann genug, um aufrichtig zu gratulieren: „Ein cooler Typ, ein verdienter Sieger.“ Dass der Nordamerikaner mit Freundin, Familie und Kamerateam angereist und auf Unterstützung seiner Crew zählen konnte, mag ihn den Weg zum Triumph erleichtert haben, die 100 Meilen hat aber auch er laufen müssen.

Trailrunning auf höchstem Niveau ist, so ein Fazit Grasels, auch Teamwork und macht den Unterschied zwischen Sieg, Niederlage und did not finish. „Wenn alles organisiert ist, dann besteht meine Aufgabe darin, Gels und Riegel von der linken Seite des Laufrucksackes zu nehmen und die leere Verpackung in die rechte Seite zu stopfen. Und bei jeder Verpflegungsstation erhalte ich das Zeug für den nächsten Streckenabschnitt.“ Nun war er alleine unterwegs, die banale Routine des Abarbeitens wurde ersetzt durch eigene Rechnereien. „Es stand nur ein Dropbag zur Verfügung, also hatte ich grundsätzlich zu viel bei mir. Was soll ich essen im nächsten Teilstück?, war eine wiederkehrende Frage, es entstand ein Chaos im Rucksack und im Kopf. Meine Ernährungsstrategie hat sicher nicht zu hundert Prozent gepasst, im Ziel bin ich mit sieben Gels und Riegel angekommen. Nicht nur, dass ich sie nicht gegessen habe, ich habe auch noch unnötiges Gewicht herumgeschleppt.“

Dass es danach eine Anerkennungsplakette aus einer lokalen Töpferei gab und ein Plüschtier, verwundert. Der Ultra Trail Snowdonia beschreibt sich auf Instagram selbst so: The UTS 100M race retains its reputation as one of the most difficult races out there!

Für die Härtesten der Harten gibt es kein Preisgeld, keine Sachpreise. Der Streckenrekord beim 51. Königsforst Ultramarathon in der Nähe von Köln war 50 Euro wert. Der Sieg beim ersten Golser Weinbergmarathon in der Nähe von Wien wurde mit einem Thermengutschein für zwei Nächte/zwei Personen, eine Trophäe aus einem Holzbalken, eine Magnum eines besonderen Rotweins aus der Region honoriert.

Was soll’s. „Ich nehme das Positive mit und habe erkannt, dass lange Haare bei einem Ultratrail nicht gehen – das Haarband einer Helferin an einer Labe hat mich gerettet, nachdem ich meines verloren hatte.“

Beim TOR gibt es dann bei Florian Grasel maximal noch den langen Bart. Und hoffentlich eine weitere Podestplatzierung.

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