Nach der Katastrophe: Angermund returns

Es war der 3. November 2023, als das Leben von Stian Angermund eine Wendung nahm, die er selbst und viele um ihn herum nicht für möglich gehalten hätten. Der Norweger, Jahrgang 1986, wurde informiert, bei den UTMB World Finals rund drei Monate zuvor positiv getestet worden zu sein.

Am Sonntag, 25. Mai, geht eine 19-monatige Leidensgeschichte zu Ende. Angermund, zweifacher Trail-Short-Weltmeister, Star im Trail- und Skyrunning, Gewinner von Gold Trail World Series-Wettbewerben, gibt sein Comeback an einem Ort, an dem er bereits 2017 triumphiert hatte. Er ist bei einem Trail-Fest der Extraklasse dabei. In Zegama soll der Neustart beginnen.

Text: Egon Theiner
Foto: Trail Short-Weltmeister Stian Angermund in Österreich (c) WMTRC 2023/Roast Media

Der positiver Dopingtest war nichts anderes als eine Katastrophe für den norwegischen Familienvater (Lebensgefährtin Katrine, Tochter Ingrid/dreieinhalb Jahre alt, Sohn Sturla/eineinhalb Jahre alt). Eine Katastrophe: „Meine Einstellung, meine Werte waren unter Beschuss gekommen, mein ganzes Leben lag von einem Moment auf dem anderen in Trümmern“, sagt er. Frust, Schock, Unverständnis waren die ersten Emotionen in jenen letzten Tagen des Jahres 2023, die immer noch so nahe scheinen.

Stian Angermund ist ein zurückhaltender, fröhlicher, junger Mann. Er ist wohl auch einer, der als klassischer Skandinavier wahrgenommen werden kann: geradlinig, aufrichtig, offen. Und er ist ein Vollblutsportler durch und durch, einer, der in seinen Trainings und Rennen, seiner Ehrlichkeit und Ethik die Basis seiner Persönlichkeit sieht. Eine E-Mail-Nachricht aus Frankreich brachte dieses Fundament ins Wanken.

„Wenn mir jemand sagt, dass ich ein schlechter Autofahrer bin, dann ist dies nicht lustig, aber meinetwegen. Aber Trailrunning, das bin ganz ich! Wenn mir jemand sagt, dass ich im Sport betrüge, dann ist dies – eine Katastrophe.“

Bergen ist eine Stadt mit etwas mehr als 250.000 Einwohnern, Stian Angermund wird auf Wikipedia nicht in der Liste der prominentesten Einwohner geführt, doch man kennt ihn, jede Stadt ist auch Dorf. Die Menschen aus seinem Umfeld halten zu ihm und können es nicht glauben, dass er gedopt hätte – überhaupt hat der norwegische Sport im Vergleich zu anderen Realitäten und historisch betrachtet wenige Skandale mit illegalen Substanzen produziert. Doch es reden ihn auch Personen auf der Straße an, die ihn nicht kennen, und sprechen ihm Mut zu. In Bergen gibt es wohl keinen, der sagt: Ja, Stian hat betrogen.

Es sind andere, die dieses Urteil sprechen, aufgrund eines Tests, der nach einem Lauf stattfand, den der Skyrunning-Weltmeister von 2016 und WMTRC-Triumphator von 2022 und 2023 eigentlich gar nicht bestreiten wollte. Angermund tritt beim OCC in der UTMB-Woche 2023 nur an, weil sein Hauptsponsor ASICS darauf besteht. Die 56 Kilometer mit rund 3500 Höhenmetern von Orsières über Champex nach Chamonix, kurz OCC, sind ein Business-Trip.

Angermund nimmt seinen Job ernst. Er gewinnt mit 2:18 Minuten Vorsprung vor dem Italiener Francesco Puppi. Das Preisgeld für den Sieger beträgt 12.000 Euro, und um diesen Betrag will sein Ausrüster auch die finanziellen Zuwendungen, die sich im kolportierten mittleren fünfstelligen Euro-Bereich bewegen, für die nächste Saison erhöhen. War es doch nur ein Job ohne viel Passion, so hat ihn der Norweger, seiner Mentalität und seinem Arbeitsethos folgend, sauber erledigt.

Man könnte spekulieren. Hätte Angermund den Lauf lustlos bestritten, wäre er als Fünfter oder Siebter oder Achter ins Ziel gekommen, dann wäre er wohl nicht getestet worden. Man hätte ihm kein Chlorthalidon nachgewiesen – ein Diuretikum, das zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt wird, aber auch als Maskierungsmittel für andere Dopingsubstanzen missbraucht werden kann. Die letzten 19 Monate wären anders verlaufen. Die Katastrophe wäre abgesagt gewesen.

In den darauffolgenden Monaten setzt Stian Angermund alles in Bewegung, was er nur kann, um seine Unschuld zu beweisen. Will wissen, wie die verbotene Substanz in seinen Körper kam, recherchiert bei ASICS und in Restaurants in Chamonix. Er kontaktiert den Veranstalter, um zu eruieren, ob die an den Verpflegungsstellen angebotenen Energy-Produkte aus verunreinigten Chargen stammen könnten; dessen Kooperation hält sich in Grenzen. Er lässt seine Haare und Nägel testen, und er verweist darauf, dass er den ganzen Sommer 2023 über immer und immer wieder bei Rennen mit angekündigten Doping-Kontrollen dabei war, beim Dolomythsrun, bei der WM in Innsbruck-Stubai, in Courmayeur, in Avoriaz. Positiv getestet wurde er nicht.

Und während er tagsüber für seine Sache und gegen die Tränen kämpft, wälzt er sich schlaflos mit nassen Augen durch die Nacht, hört Podcasts, in denen wissenschaftliches Zeug besprochen wird oder aktuelle Themen behandelt werden. Er läuft regelmäßig und viel – und bricht immer wieder in Tränen aus. Bleibt stehen, um loszuheulen wie ein kleines Kind.

19 Monate nach Beginn der Katastrophe sagt er: „Ich kann über einen Witz lachen oder mich an meinen herumtollenden Kindern freuen. Doch die Wahrheit ist, dass ich seit über eineinhalb Jahren keine echte Freude mehr in mir gespürt habe.“

Angermund sind Gefühle wie Ärger oder gar Rache fremd – es sind Emotionen, die für ihn keinen Sinn machen. Doch er scheut sich nicht zu adressieren, was ihn im ganzen Prozess seit November 2023 gestört hat und immer noch stört. Dass er sich schlecht und falsch behandelt fühlt von der französischen Antidoping-Agentur, die nachweislich nicht alles sauber abgewickelt hat, die seiner Rechtsvertretung dann über Monate hinweg Antworten schuldig blieb, die den ganzen Prozess verzögerte und somit, letzten Endes, seine Existenz als Athlet auf das Spiel setzte. „Wir haben nachgewiesen, dass sie Fehler gemacht haben“, sagt Angermund, er klingt traurig und müde, nicht aggressiv und verärgert, „und ich denke mir: Welche andere Fehlleistungen von ihnen haben wir nicht gefunden?“

Die ganze Geschichte hätte in wenigen Monaten und nicht in eineinhalb Jahren geklärt gehört. Letztlich kam es zu einem Vergleich, mit dem die Institutionen leben konnten, und der Athlet leben musste. Am Tag, an dem dieser offiziell und Angermund de facto ein Dopingsünder wurde, entzog ihm ASICS die Gefolgschaft. Das Honorar von 2023 war futsch, jenes von 2024 ohnehin. Anstelle eines Einkommens hatte der gefallene Star der Szene sein Konto quasi leergeräumt und 50.000 Euro für den Kampf um seine Unschuld und seine Werte ausgegeben.

Das Geld zum Leben kommt von Katrine, die in der IT-Branche arbeitet und in der dänischen und norwegischen Skyrunning-Szene sehr aktiv ist. Stian startet bei null.

Der Neustart beginnt mit einer Nachricht an einen Freund, der bei Salomon Spanien arbeitet und den er fragt, ob er denn eine Startnummer für Zegama 2025 erhalten könnte. Zegama ist „hot stuff“ in der Welt des Trailrunnings, der Lauf gehört zu den Golden Trail World Series und bindet Zuschauermassen, die den Läufern – wie bei den Bergetappen der Radsportler – ein Spalier bilden auf dem Weg nach oben. Wer in Zegama vorne dabei ist, ist ein Halbgott. Wer siegt, ein Heiliger.

Acht Jahre nach seinem Sieg stellt sich Stian Angermund nun die Frage, ob er ebendort zu einem Bußgang antreten muss oder seine Auferstehung feiern kann. Er weiß nicht, wie andere Läufer auf sein Antreten reagieren und ihm entgegentreten werden. Nervös fürchtet er, dass ihm Hass und Ablehnung entgegenschlagen könnten von Aktiven und Zuschauern. „Aber was soll ich machen? Ich liebe den Sport, die Trails, die Berge. Ich will zurückkommen und weitermachen, zumindest muss ich es versuchen.“

Er kommt vorbereitet ins Baskenland, wie ein Blick in seine Aufzeichnungen zeigen. Seit Januar 2025 trainiert er rund 100 Stunden und macht dabei 50.000 Höhenmeter – im Monat. Die höchste Erhebung in Bergen bringt ihm 600 Höhenmeter, bei einem ambitionierteren Lauf kommt Angermund auf 3000 Hm. Aber werde ich mental und emotional auf der Höhe sein, fragt er sich immer wieder. Er stellt sich vor, dort zu sein, umgeben von anderen, stellt sich vor, sie zu hören, wie sie ihn wohlwollend und angriffig konfrontieren, und imaginiert, wie er damit umgeht. Nicht nur Hass, auch Liebe muss verarbeitet werden.

Die Europameisterschaften im Skyrunning, der Giir di Mont in Italien, eventuell Sierre-Zenal in der Schweiz stehen auf seinem Wettkampfplan, dabei sein will Stian Angermund auch bei den World Mountain and Trail Running Championships in Spanien Ende September. Einen garantierten Startplatz als amtierender Weltmeister hat er nicht, doch ein gutes Ergebnis in Zegama könnte bereits für die Nominierung durch den norwegischen Verband reichen. Einen Bogen wird er um die UTMB-Woche machen, unangenehme Erinnerungen müssen nicht weiteren Nährstoff erhalten.

„Sollte ich keine Sponsoren für 2026 finden, dann werde ich mich aus dem Renngeschehen zurückziehen und mir einen Job suchen. Alles andere wäre nicht fair meiner Familie gegenüber“, sagt Stian. Doch wie auch immer es weitergeht, was auch immer seine Zukunft bringt: „Diese Katastrophe wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen. Ich kann nur hoffen, dass die Menschen mir glauben, wenn ich sage, dass dieser positive Test nicht bedeutet, dass ich Dopingsubstanzen verwendet habe. Dass ich gesperrt wurde, ist dem Umstand eben eines positiven Tests geschuldet. Doch klar ist mir auch, dass es auch immer jene geben wird, die mir Betrug unterstellen.“

Und das macht ihn traurig.

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